Die Judenverfolgunfg im Dritten Reich (1941-1942)

schliesslich eine Tageskapazitдt von 9000 vergasten und verbrannten

Menschen erreichte. Gleichzeitig befand sich hier das grцsste

Konzentrationslager, in dem hunderttausende von Deportierten als

Sklavenarbeiter fьr die deutsche Grossindustrie gehalten wurden, bis man

auch sie als arbeitsunfдhig vergaste oder verbrannte.

Die deutschen Juden hatten den lдngsten Leidensweg und gingen durch

alle seine Stationen. Sie starben in den Ghettos von Lodz und

Theresienstadt, in den Erschiessungsgruben von Riga und Minsk oder in den

Gaskammenr von Auschwitz und Treblinka. Nach achtjдhrigem Pariadasein

brachten sie nur noch wenig Widerstandskraft auf, als die Abtransporte

nach dem Osten begannen. Von der deutschen Bevцlkerung wurden die

Deportationen - wie alle anderen Verbrecher der Nazis - fast

widerspruchslos hingenommen. Wдhrend es in den europдischen Nachbarlдndern

selbst unter deutscher Besatzung zahlreiche Akte des Protestes und der

Solidaritдt gab, blieben in Deutschland die Kirchen stumm und Versuche von

Widerstand und Hilfe fьr die Verfolgten die Ausnahme.

Ьberall in Europa wurde ein stiller, zдher Kampf um falsche Pдsse, um

Waffen und um Obdach fьr die Untergetauchten gefьrt. Aber das stдrkste

Beispiel mutiger Auflehnung gab die polnische Judenheit. Es war das

Warschauer Ghetto, das 1943 zur letzten Schlacht antrat fьr das Recht des

Menschen, wie ein Mensch zu sterben. Die Flamme des Aufstandes griff auf

andere Ghettos und Todeslager ьber und wirkte bis in die Reihen der

westeuropдischen Rйsistance als Signal und Ermutigung.

Nach dem Beginn der sowjetischen Gegenoffensive begannen die Mцrder,

die Vernichtungslager einzuebnen. Sie liessen auch die riesigen

Massengrдber цffnen und die Leichen verbrennen, um keine Spuren ihrer

Verbrecher zu hinterlassen. Gleichzeitig wurden die Vergasungen in

Auschwitz noch ununtergebrochen fortgesetzt, nur vorьbergehend

eingeschrдnkt durch die Bedьrfnisse der Kriegswirtschaft, die mit der

Zielsetzung des Rassenwahns in Widerspruch geriet. 1944, zur Zeit der

alliierten Invasion, erfuhr der Massenmord mit der Deportierung einer

halben Million ungarischer Juden seinen grausigen Hцhepunkt. Ein Wettlauf

mit der Zeit begann.

Gegen Kriegsende wurden die Insassen der Konzentrationslager auf

Gewaltmдrschen ins Innere Deutschlands getrieben. Tausende fanden nich

wenige Tage vor der Befreiung den Tod. Kein Hдftling sollte in die Hдnde

der Sieger fallen. Man fьrchtete lebende Zeugen.

Ein Jude, der im besetzten Europa ьberleben wollte, musste nicht

einem, er musste hundert Toden entkommen. In jeder Stadt, in jeder Strasse

lauerten auf ihn die Menschenfдnger. Ihr Netz war eng und undurchlдssig,

und wer ihnen einmal entkam, war noch nicht gerettet.

Einige von Zeugen konnten noch rechtzeitig auf legalem Wege ihre

Heimat verlassen. Die meisten hatten einen gefдhrlicheren Weg. Sie

entkamen den Razzien, flohen aus den Ghettos und brachen aus den

Deportationszьgen aus. Sie lebten im Versteck oder mit falschen Papieren,

schlugen sich in neutrale Lдnder durch oder gingen in die Wдlder zu den

Partisanen. Das Lager haben nur die wenigen ьberlebt, die bessere

Lebensbedingungen hatten, weil sie als Дrzte oder Bьrokrдfte fьr die SS-

Verwaltung arbeiteten, oder jene, die erst im letzten Kriegsjahr

eingeliefert wurden und noch besonders widerstandsfдhig waren. Jeder von

ihnen hдtte eine Odyssee zu berichten.

Die Jahre vergehen, die Spuren von Blut und Asche sind verblasst. Ьber

der gemarterten Erde Polens und der ehemaligen Sowjetunion, auch auf dem

Boden der frьheren Vernichtungslager und Erschiessungsgruben, wдchst ein

Gras, und mit ihm wдchst die Gefahr des Vergessens.

III. Polen unterm Hakenkreuz.

“Heute, mein Fьhrer, steht das Volk einiger denn je um sie geschart.

Was Sie von diesem Volk fordern werdern, es wird freudig alles in blindem

Vertrauen geben. Es wird in blindem Vertrauen dem Fьhrer folgen. Wie ein

stдhlerner Block im glьhenden Feuer gewaltiger Ereignisse ist heute die

Einheit Deutschlands.

Das Volk geht dorthin und wird dorthin marschieren, wohin Sie die

Richtung geben. Sei es zum erwьnschten Frieden, sei es aber auch zum

entschlossensten Widerstand.

Niemals aber haben wir, das deutsche Volk, freudiger und ьberzeugter

und entschlossener den Willen bekundet: Fьhrer befiehl, wir folgen”.

Hermann Gцring.

Die Judenverfolgung in Polen beschrдnken sich natьrlich nicht mit dem

Zeitabschnitt von 1941 bis 1942. Sie haben eine lange Vorgeschichte.

Historisch gesehen, die Beziehungen zwischen Bevцlkerung Polens und

Deutschlands waren immer gespannt. Davon zeugen zahlreiche lokale

Konflikte, die spдter in die Kriege ьbergangen. Territoriale Ansprьche von

beiden Seiten verschдrften die Situationen an der Grenze.

Deutschland hat wдhrend des zweiten Weltkrieges alle Bilanzen gezogen.

Die ersten Schцsse knallten nдmlich auf dem Gelдnde von Polen. Dieses Land

wurde zum ersten Objekt der deutschen Aggression. Die Truppen der

deutschen Soldaten marschierten am 1. September 1939 ein im Einklang mit

Panzer- und Flugzeugemotorengebrьll. Polen gab blitzschnell den Widerstand

auf. Es fiel unter die Stiefel von Siegern.

“Hitlerkameraden” konnten sich aber mit einem blossen Untergang von

Polen nicht befriedigen. Das Land verwandelte sich zu einem der

schlimmsten Polygonen, wo die Rassenpolitik durchgemacht wurde.

Es lohnt sich nicht, die ganze bьrokratische Begrьndung (eine Menge

von Unterlagen) anzufьhren, um das, auf welche Weise das System der

Judenverfolgung aufgebaut wurde, zu zeigen. Es wird eine kurze Verordnung

von 14. November 1939 reichen:

“Erhebliche durch die Juden verursachte Missstдnde im цffentlichen

Leben des Verwaltungsbereichs des Regierungsprдsidenten zu Kalish

veranlassen mich, fьr den Verwaltungsbereich des Regierungsprдsidenten zu

Kalish folgendes zu bestimmen:

§ 1

Als besonderes Kennzeichen tragen Juden ohne Rьcksicht auf Alter und

Geschlecht am rechten Oberarm unmittelbar unter der Achselhцle eine 10 cm

breite Armbinde in judengelber Farbe.

§ 2

Juden dьrfen im Verwaltungsbereich des Regierungsprдsidenten zu Kalish

in der Zeit von 17 - 8 Uhr ihre Wohnung ohne meine besondere Genehmung

nicht verlassen.

§ 3

Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung werden mit dem Tode bestraft.

Bei Vorliegen mildender Umstдnde kann auf Geldstrafe in unbeschrдnkter

Hцhe oder Gefдngnis, allein oder in Verbindung miteinander, erkannt

werden.

§ 4

Diese Verordnung tritt bis auf die Bestimmung in § 1 sofort von 18.

November 1939 ab in Kraft.

Lodz, den 14. November 1939.

Der Regierungsprдsident zu Kalish

Ьbelhцr”.

Hinter den ganz offiziell und absolut neutral klingenden Wцrtern

versteckt sich der Begriff “Ghetto”. Eine von Hдflingen Mary Berg

beschreibt in irhen Tagebьchern, die sie spдter (“Zwei Jahre im Warschauer

Ghetto”) genannt und verцffentlicht hat, ihr Leben darin. Jede Seite ist

ein kompromissloses Zeugnis und eine offene Beschuldigung:

“15. November 1940.

Heute wurde das judische Ghetto offiziell eingerichtet. Es ist den

Juden verboten, sich ausserhalb seiner Grenzen zu bewegen, die von

bestimmten Strassen gebildet werden. Es herrscht grosse Aufregung. Die

menschen eilen nervцs in den Strassen hin und her und geben flьsternd

Gerьchte weiter, eines phantastischer als das andere.

Die Arbeit an den Mauern, die fast drei Meter hoch werden sollen, hat

schon begonnen. Von Nazi-Soldaten bewacht, schichten jьdische Mauer Ziegel

auf Ziegel. Wenn einer nicht schnell genug arbeitet, wird er von den

Aufsehern geschlagen. ich muss an unsere Sklaverei in Дgypten denken, wie

sie in der Bibel beschrieben ist. Aber wo ist der Moses, der uns aus

dieser neuen Knechtschaft fьhren wird?

Am Ende der Strassen, die noch nicht vцllig fьr den Verkehr gesperrt

sind, stehen deutsche Wachen. Deutsche und Polen dьrfen das abgesperrte

Viertel betreten, aber keine Pakete bei sich tragen. Das Gespenst des

Hungertodes steht uns allen vor Augen”.

Die Nazisverbrecher дusserten eine feine Erfindlichkeit beim

Einrichten des Ghettos. Als hдtten sie vorausgesehen, dass sie fьr ihre

Taten Verantwortung tragen werden (nicht die propagierte, sondern ganz

reale), machten sie alles so, dass es die Mцglichkeit gab, sich in einem

Gerichtsprozess zu verteidigen. Ein jeder Nazi, sogar derjenige, der ein

unmittelbarer Vollzieher der Rassentheorie, konnte die Beschuldung

ablehnen. Er hatte immer das Argument, er habe Folge dem Befehl des

Obergestellten geleistet, wenn das aber nicht funktionierte, er hatte noch

eine Chance, und zwar: er selbst habe niemanden totgeschlagen oder

geschossen. Die Juden starben selber. Er weiss nicht, woran das gelegen

habe - vielleicht am Hunger oder an der Kдlte. Diese Erscheinung befanden

sich aber ausserhalb seiner Befugnisse.

Inzwischen funktionierte der Mechanismus des Massenmordes weiter.

Kдlte, Hunger, Blokade und Beschrдnkung der Bewegungen arbeiteten mit

Nazis Hand in Hand zusammen:

“4. Januar 1941.

Das Ghetto liegt im tiefen Schnee. Es ist schrecklich kalt, und keine

Wohnung ist geheizt. Wo ich auch hingehe, finde ich die Menschen in Decken

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