schliesslich eine Tageskapazitдt von 9000 vergasten und verbrannten
Menschen erreichte. Gleichzeitig befand sich hier das grцsste
Konzentrationslager, in dem hunderttausende von Deportierten als
Sklavenarbeiter fьr die deutsche Grossindustrie gehalten wurden, bis man
auch sie als arbeitsunfдhig vergaste oder verbrannte.
Die deutschen Juden hatten den lдngsten Leidensweg und gingen durch
alle seine Stationen. Sie starben in den Ghettos von Lodz und
Theresienstadt, in den Erschiessungsgruben von Riga und Minsk oder in den
Gaskammenr von Auschwitz und Treblinka. Nach achtjдhrigem Pariadasein
brachten sie nur noch wenig Widerstandskraft auf, als die Abtransporte
nach dem Osten begannen. Von der deutschen Bevцlkerung wurden die
Deportationen - wie alle anderen Verbrecher der Nazis - fast
widerspruchslos hingenommen. Wдhrend es in den europдischen Nachbarlдndern
selbst unter deutscher Besatzung zahlreiche Akte des Protestes und der
Solidaritдt gab, blieben in Deutschland die Kirchen stumm und Versuche von
Widerstand und Hilfe fьr die Verfolgten die Ausnahme.
Ьberall in Europa wurde ein stiller, zдher Kampf um falsche Pдsse, um
Waffen und um Obdach fьr die Untergetauchten gefьrt. Aber das stдrkste
Beispiel mutiger Auflehnung gab die polnische Judenheit. Es war das
Warschauer Ghetto, das 1943 zur letzten Schlacht antrat fьr das Recht des
Menschen, wie ein Mensch zu sterben. Die Flamme des Aufstandes griff auf
andere Ghettos und Todeslager ьber und wirkte bis in die Reihen der
westeuropдischen Rйsistance als Signal und Ermutigung.
Nach dem Beginn der sowjetischen Gegenoffensive begannen die Mцrder,
die Vernichtungslager einzuebnen. Sie liessen auch die riesigen
Massengrдber цffnen und die Leichen verbrennen, um keine Spuren ihrer
Verbrecher zu hinterlassen. Gleichzeitig wurden die Vergasungen in
Auschwitz noch ununtergebrochen fortgesetzt, nur vorьbergehend
eingeschrдnkt durch die Bedьrfnisse der Kriegswirtschaft, die mit der
Zielsetzung des Rassenwahns in Widerspruch geriet. 1944, zur Zeit der
alliierten Invasion, erfuhr der Massenmord mit der Deportierung einer
halben Million ungarischer Juden seinen grausigen Hцhepunkt. Ein Wettlauf
mit der Zeit begann.
Gegen Kriegsende wurden die Insassen der Konzentrationslager auf
Gewaltmдrschen ins Innere Deutschlands getrieben. Tausende fanden nich
wenige Tage vor der Befreiung den Tod. Kein Hдftling sollte in die Hдnde
der Sieger fallen. Man fьrchtete lebende Zeugen.
Ein Jude, der im besetzten Europa ьberleben wollte, musste nicht
einem, er musste hundert Toden entkommen. In jeder Stadt, in jeder Strasse
lauerten auf ihn die Menschenfдnger. Ihr Netz war eng und undurchlдssig,
und wer ihnen einmal entkam, war noch nicht gerettet.
Einige von Zeugen konnten noch rechtzeitig auf legalem Wege ihre
Heimat verlassen. Die meisten hatten einen gefдhrlicheren Weg. Sie
entkamen den Razzien, flohen aus den Ghettos und brachen aus den
Deportationszьgen aus. Sie lebten im Versteck oder mit falschen Papieren,
schlugen sich in neutrale Lдnder durch oder gingen in die Wдlder zu den
Partisanen. Das Lager haben nur die wenigen ьberlebt, die bessere
Lebensbedingungen hatten, weil sie als Дrzte oder Bьrokrдfte fьr die SS-
Verwaltung arbeiteten, oder jene, die erst im letzten Kriegsjahr
eingeliefert wurden und noch besonders widerstandsfдhig waren. Jeder von
ihnen hдtte eine Odyssee zu berichten.
Die Jahre vergehen, die Spuren von Blut und Asche sind verblasst. Ьber
der gemarterten Erde Polens und der ehemaligen Sowjetunion, auch auf dem
Boden der frьheren Vernichtungslager und Erschiessungsgruben, wдchst ein
Gras, und mit ihm wдchst die Gefahr des Vergessens.
III. Polen unterm Hakenkreuz.
“Heute, mein Fьhrer, steht das Volk einiger denn je um sie geschart.
Was Sie von diesem Volk fordern werdern, es wird freudig alles in blindem
Vertrauen geben. Es wird in blindem Vertrauen dem Fьhrer folgen. Wie ein
stдhlerner Block im glьhenden Feuer gewaltiger Ereignisse ist heute die
Einheit Deutschlands.
Das Volk geht dorthin und wird dorthin marschieren, wohin Sie die
Richtung geben. Sei es zum erwьnschten Frieden, sei es aber auch zum
entschlossensten Widerstand.
Niemals aber haben wir, das deutsche Volk, freudiger und ьberzeugter
und entschlossener den Willen bekundet: Fьhrer befiehl, wir folgen”.
Hermann Gцring.
Die Judenverfolgung in Polen beschrдnken sich natьrlich nicht mit dem
Zeitabschnitt von 1941 bis 1942. Sie haben eine lange Vorgeschichte.
Historisch gesehen, die Beziehungen zwischen Bevцlkerung Polens und
Deutschlands waren immer gespannt. Davon zeugen zahlreiche lokale
Konflikte, die spдter in die Kriege ьbergangen. Territoriale Ansprьche von
beiden Seiten verschдrften die Situationen an der Grenze.
Deutschland hat wдhrend des zweiten Weltkrieges alle Bilanzen gezogen.
Die ersten Schцsse knallten nдmlich auf dem Gelдnde von Polen. Dieses Land
wurde zum ersten Objekt der deutschen Aggression. Die Truppen der
deutschen Soldaten marschierten am 1. September 1939 ein im Einklang mit
Panzer- und Flugzeugemotorengebrьll. Polen gab blitzschnell den Widerstand
auf. Es fiel unter die Stiefel von Siegern.
“Hitlerkameraden” konnten sich aber mit einem blossen Untergang von
Polen nicht befriedigen. Das Land verwandelte sich zu einem der
schlimmsten Polygonen, wo die Rassenpolitik durchgemacht wurde.
Es lohnt sich nicht, die ganze bьrokratische Begrьndung (eine Menge
von Unterlagen) anzufьhren, um das, auf welche Weise das System der
Judenverfolgung aufgebaut wurde, zu zeigen. Es wird eine kurze Verordnung
von 14. November 1939 reichen:
“Erhebliche durch die Juden verursachte Missstдnde im цffentlichen
Leben des Verwaltungsbereichs des Regierungsprдsidenten zu Kalish
veranlassen mich, fьr den Verwaltungsbereich des Regierungsprдsidenten zu
Kalish folgendes zu bestimmen:
§ 1
Als besonderes Kennzeichen tragen Juden ohne Rьcksicht auf Alter und
Geschlecht am rechten Oberarm unmittelbar unter der Achselhцle eine 10 cm
breite Armbinde in judengelber Farbe.
§ 2
Juden dьrfen im Verwaltungsbereich des Regierungsprдsidenten zu Kalish
in der Zeit von 17 - 8 Uhr ihre Wohnung ohne meine besondere Genehmung
nicht verlassen.
§ 3
Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung werden mit dem Tode bestraft.
Bei Vorliegen mildender Umstдnde kann auf Geldstrafe in unbeschrдnkter
Hцhe oder Gefдngnis, allein oder in Verbindung miteinander, erkannt
werden.
§ 4
Diese Verordnung tritt bis auf die Bestimmung in § 1 sofort von 18.
November 1939 ab in Kraft.
Lodz, den 14. November 1939.
Der Regierungsprдsident zu Kalish
Ьbelhцr”.
Hinter den ganz offiziell und absolut neutral klingenden Wцrtern
versteckt sich der Begriff “Ghetto”. Eine von Hдflingen Mary Berg
beschreibt in irhen Tagebьchern, die sie spдter (“Zwei Jahre im Warschauer
Ghetto”) genannt und verцffentlicht hat, ihr Leben darin. Jede Seite ist
ein kompromissloses Zeugnis und eine offene Beschuldigung:
“15. November 1940.
Heute wurde das judische Ghetto offiziell eingerichtet. Es ist den
Juden verboten, sich ausserhalb seiner Grenzen zu bewegen, die von
bestimmten Strassen gebildet werden. Es herrscht grosse Aufregung. Die
menschen eilen nervцs in den Strassen hin und her und geben flьsternd
Gerьchte weiter, eines phantastischer als das andere.
Die Arbeit an den Mauern, die fast drei Meter hoch werden sollen, hat
schon begonnen. Von Nazi-Soldaten bewacht, schichten jьdische Mauer Ziegel
auf Ziegel. Wenn einer nicht schnell genug arbeitet, wird er von den
Aufsehern geschlagen. ich muss an unsere Sklaverei in Дgypten denken, wie
sie in der Bibel beschrieben ist. Aber wo ist der Moses, der uns aus
dieser neuen Knechtschaft fьhren wird?
Am Ende der Strassen, die noch nicht vцllig fьr den Verkehr gesperrt
sind, stehen deutsche Wachen. Deutsche und Polen dьrfen das abgesperrte
Viertel betreten, aber keine Pakete bei sich tragen. Das Gespenst des
Hungertodes steht uns allen vor Augen”.
Die Nazisverbrecher дusserten eine feine Erfindlichkeit beim
Einrichten des Ghettos. Als hдtten sie vorausgesehen, dass sie fьr ihre
Taten Verantwortung tragen werden (nicht die propagierte, sondern ganz
reale), machten sie alles so, dass es die Mцglichkeit gab, sich in einem
Gerichtsprozess zu verteidigen. Ein jeder Nazi, sogar derjenige, der ein
unmittelbarer Vollzieher der Rassentheorie, konnte die Beschuldung
ablehnen. Er hatte immer das Argument, er habe Folge dem Befehl des
Obergestellten geleistet, wenn das aber nicht funktionierte, er hatte noch
eine Chance, und zwar: er selbst habe niemanden totgeschlagen oder
geschossen. Die Juden starben selber. Er weiss nicht, woran das gelegen
habe - vielleicht am Hunger oder an der Kдlte. Diese Erscheinung befanden
sich aber ausserhalb seiner Befugnisse.
Inzwischen funktionierte der Mechanismus des Massenmordes weiter.
Kдlte, Hunger, Blokade und Beschrдnkung der Bewegungen arbeiteten mit
Nazis Hand in Hand zusammen:
“4. Januar 1941.
Das Ghetto liegt im tiefen Schnee. Es ist schrecklich kalt, und keine
Wohnung ist geheizt. Wo ich auch hingehe, finde ich die Menschen in Decken