weitergeben, um einmal den Juden auch im Handwerk entbehrlich zu machen
und auszuschalten”.
V. Die “Aussiedlung” (1942).
“Aus dem Generalgouvernement werden jetzt, bei Lublin beginnend, die
Juden nach dem Osten abgeschoben. Es wird hier ein ziemlich barbarisches
und nicht mehr zu beschreibendes Verfahren angewandt, und von den Juden
selbst bleibt nicht mehr viel ьbrig. Im grossen kann man wohl feststellen,
dass 60 Prozent davon liquidiert werden mьssen, wдhrend nur 40 Prozent bei
der Arbeit eingesetzt werden kцnnen. Der ehemalige Gauleiter von Wien
(Globocnik), der diese Aktion durchfьhrt, tut das mit ziemlicher Umsicht
und auch mit einem Verfahren, das nicht allzu auffдllig wirkt”.
Josef Gцbbels in seinem Tagebuch am 27. Mдrz 1942.
Die Aussiedlung wurde aus vielen Grьnden durchgefьhrt. Zahlreiche KZ
wurden ьberfьllt. Deutsche meinten, es hatte keinen Sinn, die ganze Masse
von Hдftlingen “zu pflegen”. Sie brauchten Essen, Kleidung und eigentlich
medizinische Bedienung, mag sie auch ganz schlecht sein. Die Ausgaben
bewдhrten sich nicht. Es kam zur Notwendigkeit den grцssten Teil von
Hдftlingen loszuwerden.
Der Massenmord hдtte zu viel Zeit und Krдfte in Anspruch genommen. Die
Blokade und Hunger fьhrten zum Massenaussterben nicht. Es blieben also
viele Leute am Leben, trotz aller unmenschlischen Bedingungen.
1942 begannen Deutsche, Deportationen von Osten durchzumachen.
Das war ein neues Trauma fьr Hдftlinge. Man behauptet, dass sich der
Mensch an einen ganz schlimmen Alltag gewцnen kann. Diejenigen, die am
Leben blieben, finden die Unterstьtzung in einander. Jetzt wurden sie
voneinander getrennt und wurden gezwungen, alles wieder anzufangen, eine
neue Erfahrung des Auslebens einzuspeichern.
Eine der grцssten Aktion war die Deportation von Hдftlingen des schon
erwдhnten Warschauer Ghettos. Wir fьhren zwei Ausschnitte aus dem Tagebuch
eines Hдftlings ohne Kommentare anzugeben, weil die Situation in diesen
Notitzen vцllig geschildert ist:
“Mittwoch, 22.7.1942
Das ist also das Ende des Warschauer Ghettos, das seit fast zwei
Jahren verzweifelt um sein Leben gekдmpft hat. Heute Mittag wurden Plakate
geklebt, die die Aussiedlung aller Bewohner “nach Osten”, ohne Rьcksicht
auf Alter und Geschlecht, verkьndeten. Man braucht sich wohl nichts
vorzumachen - diese Ankьndigung ist das Todesurteil. Die Deutschen werden
nicht irgendwo “im Osten” Tausende von Menschen ansiedeln, sie ernдhren
und kleiden, dieselben Menschen, die sie in Warschau konsequent
aushungerten. Es erwartet sie ein schneller oder langsamer Tod. Vielleicht
gibt es nur Hoffnung fьr die Helfer der Deutschen, die von der Deportation
ausgeschlossen sind: die Arbeiter in Industrie und Handwerk, Polizisten,
das Personal des Judenrates und so weiter. Diese haben sogar das Recht,
Frauen und Kinder bei sich zu behalten. Aber die ьbrigen? Einen sehr
deutlichen Anhaltspunkt enthдlt diese zynische Anordnung: Jeder Aussiedler
darf 15 kg seines Eigentums als Reisegepдck mitnehmen. Es ist erlaubt,
alle Wertsachen, wie Geld, Schmuck, Gold mit sich zu fьhren. Aber Gold
durften die Juden doch seit einigen Monaten nicht mehr besitzen! Stellt
euch in eine Reihe, damit wir euch tцten, aber bringt die Wertsachen mit,
ihr erspart uns so viel Mьhe!
Das ist also die Erklдrung der Aufregung, die seit Anfang der Woche
hier um sich griff. Schon vorgestern liessen die Wachen an den
Ghettoausgдngen niemanden passieren. Gleichzeitig verhaftete man mehrere
hundert Personen und brachte sie, wie ich annehme, in den Pawiak, das
Gefдngnis. Es waren Дrzte, Rechtanwдlte, Frauen. Man sprach von Geiseln.
heute verstehe ich mehr. Man nahm sie gefangen, um die anderen in Ruhe zu
liquidieren. Ich verstehe und begreife die Juden nicht. Lassen sie sich
wie Hammel zur Schlachtbank fьhren? Finden sie keinen Ausdruck des
Protestes, der Verzweiflung? Unterdessen herrschte heute ein heilloses
Durcheinander. Mittags begann die Menschenjagd durch die jьdische Polizei.
Die Deutschen mischen sich nicht viel ein. Es gibt zwei Sorten von
Uniformierten: schwarze und grьne. Sie stellten an allen Ghettoausgдngen
Mascheinengewehre auf, und man hцrt fast ununterbrochen Schьsse - ich
vermute als Warnung. Aber diese wilde, unschцne Schiesserei dauerte schon
die ganze Nacht. Die Deutschen zielen mit ihren Gewehren in die Fenster
und schiessen mit Revolvern auf Passanten. Eine Дrztin aus dem
Kinderkrankenhaus in der Sienna-Strasse erzдhlte mir heute, dass es in
ihrem Gebдude kein Zimmer gibt, das nicht von aussen beschossen wurde.
Nun befasst man sich, wie es scheifnt, mit den Menschen, die nicht von
Nutzen sind. Bettler, Obdachlose und Umsiedler aus der Provinz werden
aufgegriffen und dann in grцsseren Gruppen zum Platz an der Stawki-Strasse
gefьhrt, wo ein Nebengleis der Eisenbahn endet. Unser Kundschafter war
dort und sah angeblich, wie man sie mit Hals und Gedrдnge in Gьterwagen
verlud und diese dann mit Stacheldraht verschloss. Schlimmer als Vieh. Es
regnet, und der Anblick dieses Elends, sagt er, wдre nicht zu ertragen.
Von frьh bis spдt kamen heute Dutzende von Menschen ins Bьro - manche
kannten wir kaum - und flehten um Aufnahme in die Arbeitsliste, um
Ausstellung einer Legitimation, um jede Art von Hilfe. Dies ist wirklich
unmцglich. Die allgemeine Panikstimmung und Angst, durch die andauernde
Schiesserei noch verstдrkt, ist so schrecklich, dass ich heute abend froh
war, das Ghetto zu verlassen. Als ich dann das nahezu normale Treiben auf
den Strassen Warschaus sah, konnte ich es nicht fassen, dass ganz in der
Nдhe Tausende von Menschen ins Jenseits “ausgesiedelt” werden”.
Dieser Zeit gehцrt der Begriff “auf der Flucht erschossen”. Tausend
Menschen wurden auf der Flucht erschossen, ohne keinen einzigen Versuch
wegzufliehen unternommen zu haben. Das Problem war, dass Deutsche keinen
Platz fьr Deportierte hatten. Viele von zu deportierenden schafften nicht,
die Eisenbahnwagen zu besteigen. Ihre Leichen blieben auf den Bahnsteigen.
Auf solche Weise wurden Nazis Tausende Hдftlinge los. Sie haben keine
Graben gehabt, ihre Verwandten und Hinterbliebenen kцnnen bis jetzt ihre
Kцrper nicht finden.
Die Offen funktionierten Tag und Nacht. Die Einsдtze fьrs Erschissen
arbeiteten praktisch ohne Pausen. Das half aber nicht, die Sintflut von
Hдftlingen nahm nicht ab.
Trotzdem mussten die KZ und Ghettos ausgerдumt werden.
“Samstag, 5.9.1942
Die Rдumung und Sдuberung des Ghettos von den wenigen Ьberlebenden
dauert an. Grundsдtzlich von der Deportation ausgenommen sind nur
Arbeiter, die in besonderen Strassenzьgen wohnen. Aus Angst vor einer
“Blokade” fliehen sie aus diesen Hдusern, aber offiziell lebt im Ghetto
ausserhalb der “Blцcke” niemand mehr. In Wirklichkeit jedoch halten sich
noch viele Alte, Kranke und vor allem Flьchtlinge dort auf. Einige treibt
der Hunger ans Licht, andere werden von den Hдschern entdeckt. In der
Nowolipie-Strasse sah ich eine bezeichnende Szene. Jьdische Polizisten
trugen auf Befehl der SS eine gelдhmte oder vielleicht auch altersschwache
Frau in ihrem Stuhl aus der Wohnung. Ein Deutscher liess sie auf die
Strasse stellen, ging einen Schritt zurьck und holte langsam seine Pistole
hervor. Eisiges Schweigen herrschte ringsum. Dann schaute er der Alten
direkt ins Gesicht und drьckte ab.
Montag, 7.9.1942
In der Firma hatte ich diesmal Sonntagsdienst. Es scheint, die
Vernichtungsaktion wird mit der grцssten Anstrengung gefьhrt und zugleich
nдhert sie sich wohl ihrem Ende. Man weiss, dass einige Menschen am Leben
bleiben - fьr wie lange? Es sollen 40000 bis 60000 Bewohner ьberleben.
Gestern bekamen diese Glьcklichen sogenannte Lebensnummern. Deshalb
mussten sich alle Juden frьhmorgens in der Mila-, Niska- und Smocza-
Strasse sammeln. Wer diese Menschenmasse nicht sah, der kann sich ihre
Furcht ьberhaupt nicht vorstellen. Diese riesige, verstцrte, machtlose und
zugleich vor Angst und Unruhe brodelnde Menge bewegte sich langsam zu den
Toren, wo die Auslese stattfand. Neben den Gendarmen und SS-Mдnnern
standen die Arbeitsherren der zerschlagenen Juden: Schulz und die
Direktoren der ьbrigen Fabricken. Die Leute gingen nach Arbeitsplatz und
Wohnort geordnet. Viele hatten Bьndel und Lebensmittel mitgenommen.
Unverbesserlicher Trieb, etwas zu besitzen! Hier habe ich nun
furchterregende Dinge gesehen, vor allem die Trennung der Kinder von ihren
Eltern. Ein Mann mit einem sechsjдhrigen Kind und einem Sдugling - die
Frau war schon deportiert - hatte die Chance, am Leben zu bleiben,
allerdings ohne seine Kinder. Er liess sie mitten auf der Strasse stehen
und ging zu dem bewussten Tor. “Papa”, rief die дlteste Tochter. Das
vergesse ich nie. Eine Frau, die nur allein durchgelassen wurde, versuchte
trotzdem, ihren kleinen Sohn durchzuschmuggeln. Ein Deutscher trennte die
beiden und prьgelte angesichts aller die Mutter mit der Peitsche, trat
nach ihr und schlug ihr mit Fдusten ins Gesicht. Als er endlich von ihr
abliess und die Frau zu sich kam, war das Kind schon fort. Es wurde mit
den anderen weggetrieben. Ich habe die nach dem Kleinen suchenden Augen
gesehen. Das vergesse ich nie. Ein alter, ungefдhr achtzigjдhriger Jude,
wohl der Opa, kniete vor einem SS-Mann, einer zwanzigjдhrigen Rotznase,
und flehte um das Leben eines Kindes, das er an der Hand hielt. Der
Deutsche lachte. Das vergesse ich nie.