Zusammenspiel der Realiatete als eines der Hauptprinzipien des Sujetaufbaus im Roman Stiller von Max Frisch

machen".

In den 70ern engagiert sich Frisch nun politisch, z.B. als Redner auf

einem Parteitag von der SPD, reist als Begleiter der Delegation des

damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt nach China, nimmt mit F.

Duerrenmatt am Friedenskongress teil. Gegenlaeufig dazu findet er

schriftstellerisch nicht mehr so groЯen Anklang. Er stirbt im Alter von 80

Jahren am 5.April 1991 in Zuerich, wo er auch geboren ist. Frisch erhielt

ungewoehnlich viele Preise z.B. Friedenspreis des deutschen Buchhandels,

Schiller Preis von Baden Wuertenberg, Preis der jungen Generation fuer

"Andorra" und andere mehr.

2. Der Roman "Stiller" im Schaffen von Max Frisch.

Identitaetsproblematik in "Stiller", "Homo faber", "Mein Name sei

Gantenbein"

Die Helden in Max Frischs Werken leiden permanent am eigenen Ich. Max

Frisch selbst bezeichnete die zentrale Stellung der Identitaetsfrage und

die damit zusammenhaengende Rollenhaftigkeit des Daseins, den Ich-Verlust

und die Selbstwahl als sein ,"Warenzeichen". So will der Bildhauer Anatol

Stiller, die Titelgestalt des ersten der bedeutenden Romane (1954), ein

neuer Mensch mit neuer Identitaet werden und so frueherem Versagen als

Kaempfer auf der Seite der spanischen Republik, als Ehemann und als

Kuenstler entfliehen.

Im zweiten der namhaften Romane, "Homo Faber" (1957), geht Frisch von

entgegengesetzter Position ans Werk. Walter Faber, Techniker und Ingenieur,

moechte an seinem technisierten Weltbild, in dem Schicksal und Gefuehle

keinen Raum finden, festhalten. Aber er verstrickt sich immer mehr in

unwahrscheinliche Zufaelle und irrationale Liebesempfindungen. Auf der

Suche nach Erlebnissen, die ihn in seiner Position staerken koennten

(glaubt selbst nicht mehr an Rollenhaftigkeit), holt ihn schlieЯlich seine

eigene Vergangenheit ein: Auf den Spuren seiner Geliebten und eigenen

Tochter, Sabeth, begegnet er der Welt, die er verlachte und kehrt wie

Stiller zum Ursprung zurueck: auch er ist am Ende ein Moerder, auch er

allein. Bereits auf den ersten Seiten wird angesprochen: "Ich glaube nicht

an Fuegung und Schicksal. Ich bin Techniker und gewohnt, die Dinge zu

sehen, wie sie sind. Ich weigere mich Angst zu haben." (Faber spielt die

Rolle des Technikers konsequent aus).

In "Mein Name sei Gantenbein" (1964) steht die Verwandlung des Lebens

in Geschichten im Mittelpunkt. Zu Beginn des Romans montiert der Ich-

Erzaehler die Figur aus dem Koerper eines Mannes aus Paris und dem Kopf

eines Amerikaners zusammen, sie erhaelt den Namen Gantenbein. Mit der immer

wiederkehrenden Formel "Ich stelle mir vor" (sowie auch Stiller mit "Ich

erzaehle ihm eine Geschichte") probiert Gantenbein nun unablaessig

Geschichten wie Kleider aus, wobei immer wieder nur eine vorgestellte Welt

zugelassen wird. Der Titelfigur bleibt kaum mehr eigene Individualitaet,

deshalb bleibt ihr nur das Spiel mit Existenzen, dem Ausprobieren seiner

Selbst.

"Stiller" entstand im Jahre 1953 und wurde ein Jahr spaeter

veroeffentlicht. Als der Roman erschien, hatte Max Frisch vor allem als

Theaterautor einen Namen. In kurzer Zeit erreichte der Roman als erstes

Buch des Suhrkamp-Verlages eine Millionenauflage.

In einem Gespraech mit Horst Bienek sagte Frisch zur Entstehung:

" Ich war ein Jahr in Amerika, und da ich ein Stipendium hatte, meinte

ich fleissig sein zu muessen. Ich schrieb sechshundert Seiten, die

misslangen. Eines Tages, zuhause, tippte ich wie oefters, wenn ich mich

langweilte und mich unterhalten muss, ein paar Seiten. Ziellos, frei von

dem beklemmenden Gefuehl, einen Einfall zu haben. Nichts geht leichter

zugrunde, als ein Einfall, der sich selbst erkennt! Das blieben die ersten

Seiten vom "Stiller", unveraendert; das Material, das ich zum Weitertippen

brauchte, stahl ich aus den sechshundert misslungenen Seiten

ruecksichtslos, so dass das Buch nach dreiviertel Jahren fertig war. "

(Bienek 1969:21)

"Ich bin nicht Stiller" lautet die unerhoerte AeuЯerung des Helden mit

der der Roman einsetzt. Um die Schatten der eigenen Nichtigkeit

loszuwerden, unternimmt er den Versuch nach langer Abwesenheit unerkannt

und verwandelt in die Heimat zurueckzukehren, doch dies schlaegt fehl.

Spaeter kommt der Symbolgehalt des Namens Stiller zum Ausdruck. Auf einem

Landgut fristet Stiller sein Dasein: verstummt, zurueckgezogen, allein.

Der Roman ist in zwei Hauptteile untergegliedert, von denen der erste

Teil die "Aufzeichnungen im Gefaengnis" und die zweite Teil das

"Schlusswort des Staatsanwalts" beinhaltet.

Die Handlung findet im architektonischen Aufbau des Romans ihre

Entsprechung. Die zwei Handlungsstraenge ('White-und Stillerhandlung')

fuehren am Ende zusammen, denn die Doppelidentitaet Stiller/ White wird zu

einer Einheit. Noch weigert sich White Stiller zu sein:

"[…]; abermals vergleicht er Zahn um Zahn, wobei sich zeigt, dass

Stiller, der verschollene Kunde seines verstrorbenen Onkels, beispielsweise

ueber einen tadellosen Achter-oben-rechts verfuegt haben muss; bei mir ist

es eine Luecke." (Frisch 1992: 318)

Dann spricht er jedoch das erste Mal von Stiller in der Ich- Form und

gibt schliesslich zu, Stiller zu sein.

"Das Urteil, das gerichtliche, wie erwartet: Ich bin (fuer sie)

identisch mit dem seit sechs Jahren, neun Monaten und einundzwanzig Tagen

verschollenen Anatol Ludwig Stiller[…]" (Frisch 1992: 381)

"Wielfried Stiller, mein Bruder, habe sich bereits erklaert, den

Betrag von Franken 9 361. 05 zu uebernehmen." (Frisch 1992: 383)

Max Frisch sagte so ueber sich selbst: Er sei ein defensiver, ein

reagierender Schriftsteller. Er erfindet nicht Geschichten, um die Welt zu

veraendern, sondern stellt die Welt dar, wie er sie erfahren hat, ohne den

moralischen Anspruch zu erheben, Loesungen und Vorschlaege zum Bessermachen

aufzuzeigen. Im Grunde sei er ein hilfloser Schriftsteller, der schreibt um

zu bestehen, nicht um zu belehren und waere vielleicht am gluecklichsten,

wuerde ihm ein Aufweichen seiner Problemwelt gelingen. Aus seiner Haltung

als Schriftsteller resultiert auch die Erzaehlhaltung in seinen Romanen.

.

3. Strukturelle Besonderheiten des Romans "Stiller" und die Haltung

des Erzaehlers im Roman

Literatur entsteht immer in einer "Partnerbeziehung" zwischen Autor

und Leser, weshalb der jeweilige Text in jedem Leser neu entstehen soll.

Frisch gibt keine fertigen Antworten und macht deshalb auf das

Problem des Offensichtlichen aufmerksam: "...alles sagen bedeutet ein

Entfernen". Das Offene in der Reproduzierbarkeit beim Konsumieren eines

Textes muЯ gewaehrleistet bleiben, sonst bleibt die Gefahr, daЯ man das

"Geheimnis zerschlaegt". Die schriftstellerische Form sollte deshalb eine

"stofflose Oberflaeche" bleiben, die es letztlich nur fuer den Geist geben

kann.

In seinem Aufsatz "Zwischen Autor und Text" betont Umberto Eco unter

anderem, dass der Autor zwar der Urheber des Textes ist, aber der Text ist

nach seiner Entstehung autonom, so dass es Unterschiede zwischen der

Absicht des Autors und der Textintention geben kann. Ueber sich selbst als

Autor sagt Eco: "Das Geschriebene hat sich von mir abgeloest und fuehrt ein

Eigenleben." (Eco 1992: 91). Mit dieser Behauptung verweisst der

Wissenschaftler auf den Aspekt der Offenheit, die das literarische Werk

hinsichtlich der Moeglichkeiten der Entwicklung seiner Handlung aufweisst.

Das trifft auch die Autorenposition von Max Frisch. Ein Buch ist fuer

ihn nur dann lesenswert, wenn es ausreichend Platz fuer den Reichtum der

eigenen Gedanken laeЯt. Dieser Gedanke ist verknuepft mit Frischs Abneigung

gegen die vollendeten Formen in der Literatur bzw. mit seinem eigenen Weg

der Skizzen, Tagebuecher, Berichte. In einer skizzenhaften, unvollendeten

Form eines literarischen Textes ist die Gefahr, daЯ der Autor dem Leser die

eigene Reproduktion durch allzu offensichtliche Vollendung vorenthaelt, und

ihm dadurch sein eigenes Bildnis aufzwingt, am geringsten. Die Skizze soll

nach Frisch nur die Richtung aufzeigen, nicht aber das Ende.

Die von Frisch im "Stiller" gewaehlte Form des Erzaehlens bewirkt,

dass der Leser einen sehr eingeschraenkten Blickwinkel hat. Daher muss er

sich automatisch mehr Gedanken machen, um von der ersten Seite des Buches

an den unbekannten Faden zu spinnen und Verbindungen zwischen den

Erlebnissen Stillers zu knuepfen. Die knappe Information, die der Leser

beim Rezeptionsvorgang erhaelt, ergibt Leerstellen, die er mit eigenen

Assoziationen, Theorien und Vermutungen fuellt, welche jedoch auch

zerstoert werden und zu neuen Ueberlegungen veranlassen. Durch die

gewaehlte Romanform wird der Leser aktiv, er muss sich permanent mit dem

wechselhaften Erzaehlvorgang auseinandersetzen. Die multiperspektivische

Darstellung der Personen und Charaktere fuehrt zu vielseitigen

Moeglichkeiten der Interpretation. Der Leser muss sich sein eigenes Bild

machen, in dem er sich kritisch und distanziert mit dem Erzaehler und

dessen Eigenarten auseinandersetzt.

Die Offenheit der Struktur des Romans macht den modernen Roman, so wie

ihn Max Frisch entstehen laesst, ueberhaupt moeglich. Das Losgeloestsein

von einer konventionellen Romanform laesst den Leser unvoreingenommen dem

Werk entgegentreten und in eine neuartige Moeglichkeit des

Rezeptionsvorgangs eintauchen.

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